Version: 15.05.2003

Muskelrelaxation


Wie wirken Muskelrelaxantia? Was ist der Unterschied zwischen "polarisierenden" und "depolarisierenden" Muskelrelaxantien? Was heißt "Präcurarisieren"? All' dies und noch ein bißchen mehr wird hier anhand der Physiologie des Muskels kurz und einleuchtend beschrieben!

Depolarisation und Repolarisation

Ein Muskel wird von einem Nerven elektrisch stimuliert und zur Kontraktion angeregt. Zwischen Nervenende und Muskelfaser befindet sich ein Spalt (synaptischer Spalt). Wenn am Nervenende eine fortgeleitete Erregung (Aktionspotenzial, auch AP) ankommt, werden Botenstoffe (Transmitter) aus dem Nervenende freigesetzt. Bei Muskeln ist dies Acetylcholin. Dieser Transmitter setzt sich an Rezeptoren der Muskelfaserwand. Wenn zwei Transmitter an einen Rezeptor andocken, so gibt der Rezeptor einen Kanal frei, durch den Natrium in die Muskelfaser und im geringeren Ausmaß Kalium aus der Muskelfaser strömen kann.

Dargestellt symbolisch ist ein Nervenende (gelb) und die Muskelfaser (rot) mit dem dazwischenliegenden synaptischen Spalt. Ein Nervenimpuls (orangener Pfeil, Aktionspotenzial bzw. AP) kommt am Ende an und es werden die Transmitter (grüne Kügelchen) aus den Transportkapseln (Vesikel, gelbe Hülle um die grünen Kügelchen im Nerven) freigesetzt. Beim Muskel ist dieser stimulierende Transmitter Acetylcholin. Der Transmitter gelangt zu Rezeptoren (blau), die durch die Muskelfaserwand durchziehen und Kanäle für Natrium und Kalium (Na+, K+ sind Kationen, positiv geladen) bilden. Wenn zwei Acetylcholin an den Rezeptor andocken, werden die Kanäle geöffnet und Natrium kann aus der Umgebung der Muskelfaser in diese einströmen und Kalium kann in einem weitaus geringeren Maß aus der Muskelfaser herausströmen. Dadurch kommt es zu einer Spannungsänderung zwischen Muskelfaserinnenraum und der Umgebung. Diese Spannungsänderung nennt man → Depolarisation. In Folge der Depolarisation zieht sich die Muskelfaser zusammen (Kontraktion).


  Intrazellulär Extrazellulär
Na+ (Natrium) 7 mmol/l144 mmol/l
K+ (Kalium) 160 mmol/l4 mmol/l
Ca++ (Calcium)0,0001-0,00001 mmol/l1,3 mmol/l
Cl- (Chlorid) 7 mmol/l114 mmol/l
HCO3- (Bicarbonat) 10 mmol/l28 mmol/l
Ursprünglich ist die Muskelfaser gegenüber der Umgebung negativ geladen. Dieses kommt dadurch zustande, daß die Flüßigkeit der Muskelfaser (eigentlich: Zelle) anders zusammengesetzt ist als die Flüßigkeit außerhalb der Muskelfaser (siehe Tabelle rechts). Innen befindet sich eine negative Ladung relativ zur Umgebung (etwa -90mV). Dadurch, daß nun positive Natrium-Ionen durch die Kanäle in die Muskelfaser einströmen, kommt es zu einer Veränderung dieser Verhältnisse. Die negative Ladung gegenüber der Umgebung wird aufgehoben und evtl. sogar mehr als ausgeglichen (positive Ladung, "Overshoot"). Diese Potenzialänderung (negativ zu positiv) nennt man Depolarisation. Eine Depolarisation führt zur Kontraktion der Muskelfaser (oder -zelle).

Die Kanäle werde einerseits durch den Transmitter Acetylcholin aktiviert, sind jedoch auch von Potenzialzuständen abhängig. Während bei einem Potenzial von -100mV eine maximale Aktivierbarkeit möglich ist, so sind die Kanäle bei -50mV nichtmehr aktivierbar. Auch nicht durch weitere Besatzung von Transmittern! Es sind also Transmitter als auch ein bestimmtest Potenzial notwendig.

Wenn eine gewisse Spannung erreicht wurde, sind die Kanäle nicht mehr aktivierbar und es kommt zu einer Rückbildung der Potenzialänderung (Repolarisation). Wenn die Potenzialdifferenz noch nicht -50mV erreicht hat, sind keine Kanäle aktivierbar. Selbst wenn also erneut Transmitter andocken, ist eine Durchlässigkeit für Natrium nicht zu erreichen. Erst ab dieser Schwelle ist wieder eine Aktivierung der Rezeptorkanäle möglich.

Falls jedoch die Zelle noch nicht das Ruhepotenzial von -90mV erreicht hat, so können weniger Kanäle reaktiviert werden und eine erneute Depolarisation ist weniger stark ausgeprägt.

Eine Zelle wie z.B. die Muskelfaser ist gegenüber ihrer Umgebung negativ geladen. Diesen Spannungsunterschied nennt man Potenzial. Bei Muskelzellen beträgt dieses Potenzial etwa -90mV. Wenn nun positiv geladene Natriumionen (Na+) in die Zelle einströmen (durch acetylcholinabhängige Rezeptorkanäle), ändert sich dieses Potenzial zum positiven hin. Diese Potenzialänderung nennt man Depolarisation. Durch die Depolarisation kommt es innerhalb der Muskelzelle zur Kontraktion und die Zelle verkürzt sich.
Die Kanäle können jedoch nur unter bestimmten Potenzialbedingungen aktiviert werden. Bei -100mV ist eine maximale Aktivierung möglich, bei -50mV kann kein Natriumkanal aktiviert werden.
Es kommt zu Beginn zu einem Einstrom von Natrium (positiv geladen) und in Folge dessen zur Potenzialänderung → Depolarisation. Nach einer Spitze ("Overshoot") wird das alte Potenzial wieder hergestellt (Repolarisation). Am Anfang können die Kanäle noch nicht wieder aktiviert werden (> -50mV). Wenn dann der Kanal durch Transmitter erneut wieder erregt werden sollte, noch bevor er sein Ruhepotenzial von -90mV erreicht hat (also zwischen -50 und -90mV), kann es zu einer Depolarisation kommen. Sie ist jedoch nie so ausgeprägt wie eine Depolarisation von einem Ausgangspotenzial von -90mV.


Lassen wir nun erstmal das "was wäre wenn" bei Seite und fragen lieber, was mit dem Acetylcholin passiert, welches den Rezeptor aktiviert und den Natriumkanal öffnet. Dieses Acetylcholin wird von einem Enzym, (ein Stoff, der eine chemische Reaktion erleichtert, auch "Biokatalysator" genannt) gespalten. Dieses Enzym heißt Acetylcholinesterase. Die Bruchstücke lassen vom Rezeptor ab und geben ihn wieder frei. Dies geschieht in der Regel - wie auch alle anderen geschilderten Vorgänge - rasend schnell.

Der Rezeptor mit dem Kanal in der Muskezellwand ist mit zwei Acetylcholin belegt und damit der Kanal geöffnet (linke Abbildung). Die rechte Abbildung zeigt den belegten Rezeptor, an dem das Acetylcholin (rot-lila) durch die Acetylcholinesterase (rötliche Dreiecke) gespalten wird. Durch die Spaltung verliert Acetylcholin seine aktivierende Wirkung auf den Rezeptor.


Muskelrelaxation

Wir haben nun mehrere Angriffspunkte gefunden, um die Muskelkontraktion zu hemmen bzw. die physiologische Funktion zu stören.

Botulinus-Neurotoxin hemmt z.B. die Vesikelentleerung. Dadurch kommt es nicht zu einer Aktivierung der Rezeptorkanäle und somit nicht zur Depolarisation. Und demzufolge auch nicht zur Kontraktion.

α-Bungarotoxin ist ein Kobragift und blockiert die Öffnung der Kanäle. Also auch keine Kontraktion.

Klinisch interessanter ist die Funktion von Curareähnlichen Substanzen, wie z.B. Tubocurarin. Wie das Kobragift wird Acetylcholin von der Rezeptorbindungsstelle verdrängt (wird auch kompetitive Hemmung genannt) und der Kanal wird aber nicht geöffnet. Also bleibt die Zelle polarisert

Ein anderer Effekt ist etwas umständlicher. Suxamethonium ist ein Stoff, der dem Acetylcholin sehr ähnlich ist und durch Kanalöffnung ebenfalls die (Muskel-) Zelle depolarisiert. Jedoch wird Suxamethionium nicht so schnell gespalten wie Acetylcholin und es kommt zu einer Dauer-Depolarisation mit einer Inaktivierung der Natriumkanäle (siehe oben, Na+-Kanäle sind auch potenzialabhängig!). In letzter Konsequenz auch hier zu einer Lähmung. Jedoch geht meist ein erstes Zucken durch den behandelten Patienten, da ja erstmal eine Depolarisation in vollem Umfang wirksam ist.

Ein weiterer Stoff, der nicht zu den Relaxantia gehört, sollte dennoch hier kurz erwähnt werden: Neostigmin. Neostigmin ist ein Cholinesterasehemmer. In dieser Eigenschaft unterbindet es die Spaltung von Acetylcholin. Acetylcholin sammelt sich dadurch immer mehr im syaptischen Spalt an und kann dadurch z.B. curareähnliche Substanzen wieder vom Rezeptor verdrängen und sich selbst andocken. Auch dieses Medikament hat dadurch eine lähmende Eigenschaft.

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