Version: 29.07.2001

Therapie der nosokomialen Pneumonie


Prof. Dr. med. Tobias Welte, Medizinische Hochschule Hannover

Einleitung

Infektionen der unteren Atemwege (tracheobronchitis und Pneumonie) stellen die größte Gruppe der im Krankenhaus auftretenden Infektionen - sowohl insgesamt (EPIC-Studie 1995) als auch im Intensivbereich dar (Euro-NIS Studie, unveröffentlicht). Die Intubation ist dabei der größte Risikofaktor für das Auftreten einer solchen Infektion. Die beatmungsassoziierte Pneumonie (VAP) führt vor allem aufgrund der Verlängerung der Intensivliegezeit zu zusätzlichen Kosten für das Gesundheitswesen von ca. DM 15.000 pro Fall. Neue Untersuchungen im Bereich internistische Intensivstationen (George et al. 1998) gehen von einer Inzidenz nosokomialer Pneumonien von 7,8% (12,5 Fälle auf 1000 Patiententage) und von 20,5 Fällen pro 1000 Beatmungstage aus. Bei Langzeitbeatmeten (>10 Tage) entwickeln mehr als 75% der Patienten eine Pneumonie.


Mikrobiologie nosokomialer Pneumonien

In der klinischen Praxis hat sich gezeigt, daß - vor allem unter Beatmungsbedingungen - zwischen früh und spät (> 5 Tage Beatmung) einsetzender Atemwegsinfektion unterschieden werden muß. Während in der frühen Phase Erreger gefunden werden, die auch im ambulaten Bereich für die meisten Pneumonien verantwortlich sind (Pneumokokken, Haemophilius influenzae) verschiebt sich das Keimspektrum mit zunehmender Beatmungszeit zu gramnegativen Erregern wie Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter spp., Acinetobacter spp., multiresistente Staphylokokken und Pilzen. Die Erreger der frühen Infektion sind gut behandelbar, von daher trägt eine solche Pneumonie nicht zur Steigerung der Mortalität im Intensivbereich bei. Bei den spät einsetzenden (late-onset) Pneumonien ist die anders, hier dominieren schlecht therapierbare multiresistente Erreger, was zu einer deutlichen Pneumonie-bedingten Steigerung der Intensivmortalität 8von im Schnitt 20% auf ca. 30% in der Euro-NIS Studie) führt. Verständlicherweise ist die Prognose um so schlechter, je schwerer die Pneumonie primär ist. Schnell progrediente Röntgenbildveränderungen, hoher Bedarf an Sauerstoff und das Versagen anderer Organsysteme (Oligurie, Kreislaufdepression) zeigen das ernste Krankheitsbild an. Daneben ist abhängig von bestimmten Risikofaktoren mit problematischen Keimkonstellationen zu rechnen. Staphylokokken treten gehäuft bei komatösen Patienten und solchen mit Diabetes mellitus und Alkoholabusus auf. Pseudomonaden finden sich bei Tracheotomierten und Patienten mit langjährigen Vorerkrankungen, Pilze und Legionellen bei Immunsupprimierten. Eine Vorbehandlung mit Antibiotika kann zu einer Selektion multiresistenter Keime geführt haben, dies gilt besonders, wenn die Antibiotikagabe bereits 7 - 10 Tage besteht.

Pilzpneumonien werden überwiegend bei immunsupprimierten Patienten beobachtet, hier steht die Aspergillen- noch vor der Candidainfektion. Ansonsten können Pilze durch lange Antibiotikavorbehandlung selektiert werden, vor dem 10. Tag einer Beatmung sind sie praktisch nie zu beobachten.

Grundsätzlich kann jede Antibiotikatherapie zu einer Selektion von Clostridium difficile im Darm führen und damit das Entstehen einer pseudomembranösen Colitis begünstigen. Letzteres äußert sich in profusen wässrigen Durchfällen, die nicht zwingend blutig sein müssen. In der Regel kommt es zu einem sonst nicht erklärbaren Anstieg der Entzündungswerte (Leukozyten, CRP).


Überlegungen zur Therapie nosokomialer Infektionen

Aus dem oben gesagten ist abzuleiten, daß drei Grundüberlegungen für die Therapieentscheidung von Bedeutung sind, nämlich der Schweregrad der Pneumonie, das Risikoprofil des Patienten und der Zeitpunkt des Beginns der Infektion (early oder late-onset). Früh auftretende, leichte bis mittelschwere Pneumonien bei Patienten ohne spezielles Risiko erlauben eine Monotherapie mit weniger breit wirksamen Antibiotika (Abb. 1). Schwere Pneumonien, spät einsetzende Infektionen und bestimmte Risikoprofile zwingen zu einer breiten antibiotischen Abdeckung (Abb. 1). Ob dabei eine Kombinationstherapie einer Monotherapie vorzuziehen ist, kann heute noch nicht abschließend beurteilt werden. Bei vermuteter Beteiligung von Pseudomonas aeruginosa am Infektionsgeschehen empfehlen die Fachgesellschaften eine kalkulierte Kombinationstherapie. Aufgrund der schlechten Gewebegängigkeit des klassischen Kombinationspartners Aminoglykosid sollte dabei die Gabe von Pseudomonas-wirksamen Betalaktamen mit Ciprofloxacin (Pseudomonas-wirksamstes Chinolon) bevorzugt werden. Daß auch eine Monotherapie bei Pseudomonas aeruginosa-Beteiligung einen Kombinationsregime überlegen sein kann, zeigen Sieger et al. und Alvarez-Lerma et al. bei Intensivpatienten mit nosokomialer Pneumonie in Folge der mechanischen Beatmung. Die frühergewählte Strategie, bei diesen schweren Infektionen mit schmaler wirksamen Antibiotika zu beginnen und nur bei einem Mißerfolg der Theapie auf breiter wirksamen Substanzen umzusteigen (Eskalationsstrategie), hat sich in der Praxis nicht bewährt. Luna et al. konnten 1997 zeigen, daß bei diesen Patienten das initial richtige Antibiotikum über den Ausgang der Erkrankung entscheidet. Ist die Anfangstherapie falsch, verbessert auch ein Umsetzen der Medikamente die Prognose ncith mehr.

Zur Therapie gesicherter Pilzinfektionen setht Fluconazol (Candida spp.) und Amphotericin B (Aspergillus spp.) in Kombination mit Flucytosin zur Verfügung. Bei Candidapneumonien muß jedoch darauf geachtet werden, daß zunehmend Spezies beobachtet werden, die Fluconazol-resistent sind (C. kefyr, C. krusei, u.a.), so daß dann ebenfalls auf Amphotericin ausgewichen werden muß. Die vorher beschriebene pseudomembranöse Colitis wird mit Gaben von Vancomycin oder Metronidazol behandelt.


Dauer der antimikrobiellen Therapie, Therapieversagen

Für Deutschland gilt, daß die meisten Infektionen in der Regel zu lange behandelt werden, was der Selektion multiresistenter Keime Vorschub leistet. Bis auf wenige Ausnahmen (Legionelleninfekion) reicht es aus, wenn nach klinischer Besserung (Sinken der Temperatur, Rückgang der Entzündungszeichen, Besserung der Organfunktion) 3 - 5 Tage weiter behandelt wird. Die Behandlungsdauer von 10 Tagen sollte nur in Ausnahmefällen überschritten werden, da die Pilzselektion gefördert wird.

Zeigt sich nach 48 - 72 Stunden nach Therapiebeginn keine klinische Besserung oder gar eine Verschlechterung spricht das für ein Therapieversagen. Es sollte ein Antibiotikawechsel auf eine andere Substanzgruppe (beispielsweise von Cephalosporin nach Carbapenem) erfolgen. Alternativ kann bei Monotherapie ein Kombinationspartner gewählt werden.

Kommt es trotz Therapiewechsel nicht zu einer Verbesserung der klinischen Situation müssen andere Infektionen (Pilze, sogenannte atypische Keime wie Legionellen oder Clamydien) in die differenzialdiagnostische Überlegung mit einbezogen werden und eine entsprechende Behandlung (Antimykotika, Erythromycinderivate) eingeleitet werden.

Gerade nach lang dauernder Antibiotikatherapie und bei Divergenzen zwischen klinischer Symptomatik und Entzündungsparametern (hohes Fieber, letztere fehlend) sollte daran gedacht werden, daß Antibiotika selbst ein medikamentenassoziiertes Fieber auslösen können. Wenn es der klinische Zustand des Patienten erlubt, ist deshalb eine Pause der Antibiotikagabe von 24 - 48 Stunden sinnvoll, es kann dann zu einem Sistieren der Temperatur kommen.


Zusammenfassung



Die Therapie der nosokomialen Pneumonie orientiert sich heute am klinischen Schweregrad der Erkrankung, am Vorliegen von Risikofaktoren und der Frage, wann im Verlauf der Intensivbehandlung die Infektion entstanden ist. Entsprechend den individuellen Gegebenheiten des Patienten muß dann die Therapie ausgewählt werden. Therapieprobleme werden in Zukunft aufgrund zunehmender Resistenzentwicklungen gegen eine Reihe von Keimen auftreten. Eine enge Zusammenarbeit zwischen klinischer Mikrobiologie, Hygiene und Intensivarzt ist nötig, um Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen.




Literatur

Alvarez-Lerma F. et al. 1998, Antiinfect Drugs Chemother Suppl 1,7 , Abstr M125
George D.L. et al. 1998, Am J Resp Crit Care Med 158 (6):1839-1847
Luna C.M. et al. 1997, Chest 111 (3):676-685
Sieger B. et al. 1997, Crit Care Med 25 (10):1663-1670
Vicent J. et al. 1995, JAMA 274: 639-644
Vogel F. et al. 1999, Chemother J 8: 1,3-49


Quelle:
International Symposia Cambridge, 1999; Antibiotikastrategien für das nächste Jahrtausend, Abstracts, S. 27-31 AstraZeneca GmbH
Mit freundlicher Genehmigung der Firma AstraZeneca GmbH

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