Version: 02.02.2005

Non-Invasive Ventilation (NIV)


Definition NPV, PPV

Unter Noninvsasiver Ventilation (NIV) versteht man die Atemunterstützung oder Beatmung unter Umgehung eines endotrachealen Tubus. Zum einen etablierte sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts die Atemunterstützung über eine "Eiserne Lunge", eine Kammer, die über den Thorax angebracht war. Sie war in der Lage, einen Unterdruck auf die Thoraxwand auszuüben (negative pressure ventilation, NPV). Durch dieses Verfahren erfuhr der Patient eine recht physiologische Atemhilfe. Aufgrund des technischen Aufwands, der Unzugänglichkeit des in der Kabine eingeschlossenen Patienten, der schlechten Akzeptanz durch den Patienten und die Ausbildung von Obstruktionen der oberen Atemwege wurde diese Methode durch andere verdrängt. Gleichwohl gibt es aktuell begrenzte Empfehlungen für den Einsatz dieses Verfahrens: neuromuskuläre Erkrankungen, Brustwanddeformation, zentrale Hypoventilation und Zwerchfelllähmung [1]. Auch wenn es aktuell nicht zu den üblichen Verfahren gehört und kaum eine Klinik dieses Verfahren anbieten kann, wird es sicherlich eine Wiederkehr in die moderne Medizin geben - zumal schon heute mit moderneren Geräten geforscht wird.

Aktuell wird weit verbreitet das Verfahren der Atemunterstützung durch Überdruck (positive pressure ventilation, PPV) angewendet. Bei der nicht-invasiven Beatmung verzichtet man auf den Tubus zugunsten einer Maske oder eines anderen Hilfsmittels - das Spektrum ist breit. In zahlreichen Untersuchungen während der letzten Jahre wurde die Gleichwertigkeit oder sogar Überlegenheit dieses Verfahrens gegenüber der invasiven Beatmung durch einen Endotrachealtubus. Dies jedoch nur bei bestimmten Krankheitsbildern und nur unter Beachtung der Kontraindikationen und ergänzenden Kriterien, die hier noch erläutert werden. Letztlich führte die Entwicklung soweit, dass ein Expertenteam ("Task Force") unter der Federführung von H. Burchardi (Göttingen) 2001 ein Konsensus-Statement "zu Indikation, Möglichkeiten und Durchführung bei der akuten respiratorischen Insuffizienz" verfasste [2]. Dies beinhaltet Empfehlungen die auf Untersuchungen basieren. Auf diesen Empfehlungen basiert auch dieser Artikel unter Berücksichtigung der entsprechenden Untersuchungen.


Indikationen


Allgemein akzeptiert ist der Grundgedanke, dass eine nicht invasive Beatmung (non-invasive Ventilation, NIV) nicht jedem Patienten einen Vorteil bietet. Gute Studien zeigen jedoch den Vorteil bei einem bestimmten Patientenklientel. Grundsätzlich ist es wichtig, die Grenzen zu kennen, sprich die Kontraindikationen und die Abbruchskriterien sowie im positiven Sinne natürlich auch die geeigneten Indikationen und Einschlusskriterien. Untersuchte und eventuell in Frage kommende Indikationen sind für die "Task Force":

  • Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)

  • Speziell für die akute Exazerbation (Verschlechterung) einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) fanden sich eindeutige Hinweise für den Nutzen von NIV [3]. Aufgrund der Daten der verschiedenen Studien ist dies eine klare Indikation: es ergab sich eine geringere Letalität und eine geringere Intubationshäufigkeit.
  • Akute respiratorische Insuffizienz (ARI)

  • Nicht so deutlich sind die Daten bei der akuten respiratorischen Insuffizienz bei nicht vorbestehender COPD. Insgesamt konnte hier keine so klare Empfehlung erfolgen wie bei der akuten Exazerbation einer COPD. Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven sollten abgewartet werden, jedoch gab es Hinweise auf einen positiven Effekt bei immunsupprimierten und organtransplantierten Patienten. Italienische Ärzte [4] verglichen die noninvasive PPV und die konventionelle mechanische Beatmung bei Patienten mit akuter respiratorischer Insuffizienz (ARI) unterschiedlicher Ursachen. Es zeigte sich eine gleichwertige Effektivität, was den Gasaustausch betrifft.
  • Kardial bedingtes Lungenödem

  • Studien zeigten beim kardial bedingten Lungenödem, dass die NIV den Gasaustausch und die Kreislauffunktion positiv beeinflußt [5], jedoch ließ sich keine Senkung der Mortalität nachweisen [2]. Ebenso wird von der "Task Force" bei einem Lungenödem im Rahmen eines akuten Myokardinfarkts zur Vorsicht geraten! Unabhängig davon gilt das Lungenödem als eine bedeutende Indikation für die noninvasive Beatmung.
  • Entwöhnung von der Beatmung (Weaning)

  • Es konnte gezeigt werden, dass gerade beim schwierigen Weaning von COPD-Patienten die NIV von Vorteil sein kann. Durch die Anwendung konnte sowohl die Dauer der maschinellen Beatmung als auch die Anzahl der gescheiterten Extubationen reduziert werden. Auch wenn die klassischen Extubationskriterien noch nicht erreicht waren, konnte unter NIV eine Extubation vorgezogen werden. Hierbei ist jedoch noch Vorsicht angezeigt, bis diese Ansätze noch in anderen Studien besser belegt werden.
  • Andere Indikationen

  • - Schlafapnoesyndrom
    - perioperative Phase (z.B. bei Risikopatienten -> Adipositas per magna)
    - Akute Dekompensation der chronisch erschöpften Atempumpe bei Muskeldystrophie, Kyphoskoliose

Kontraindikationen, Abbruchskriterien und Intubationskriterien


Ganz klar wird heute gesagt, dass man für eine erfolgreiche noninvasive Beatmung die Grenzen kennen soll, um den Erfolg zu dieses Verfahrens maximieren zu können. Die Kontraindikationen lauten nach Burchardi H et al. [2]:
  • Koma oder nicht beherrschbarer Verwirrtheitszustand (wenn nicht durch Hyperkapnie bedingt
  • Schwere Kooperationsprobleme
  • Akute lebensbedrohliche Hypoxie
  • Herz- oder Atemstillstand
  • Hämodynamische Instabilität
  • Erhöhte Gefahr der Regurgitation und Aspiration (Schluckstörungen, Ileus, GI-Blutungen, kürzlich abdominelle OP)
  • Hindernisse in den oberen Atemwegen (Tumor, Verletzung)
  • Bronchoskopisch nicht korrigierbare Sekretretention

Neben all den Faktoren, die Einfluß auf den Erfolg der noninvasiven Beatmung nehmen (allgemeine schwere der Erkrankung und Begleiterkrankungen usw.) scheint der pH ein prognostisch wichtiger Faktor zu sein. Günstig scheint es zu sein, wenn der pH vor Beginn der noninvasiven Beatmung > 7,3 ist. Ungünstig ist ein niedrigerer pH, der evtl. auf weiter bestehende, extrapulmonale Organprobleme des Patienten hindeuten kann. Dennoch scheint es in diesem Bezug noch keine einheitliche Richtlinie zu geben. Es wird nicht grundsätzlich auf den Verzicht der NIV bei einem pH < 7,3 bestanden [6]

Wichtiger scheint es dabei zu sein, wie der primäre Verlauf innerhalb der ersten 30-120 Minuten ist. Dabei ist vor allem die Tendenz entscheidend. Es wird also nicht erwartet, dass sich innerhalb der ersten 2 Stunden der pH von 7,21 auf über 7,35 normalisiert hat. Auch eine Besserung auf 7,25 ist eine Tendenz und kann als erfolgreich gewertet werden.

Es sind die Intubationskriterien zu beachten, die von der Task Force [3] komplett aus der Studie von Brochard [2] übernommen wurden. Um den Erfolg zu dokumentieren, sollten nach Beginn stündlich die Erfolgskriterien und die Abbruchkriterien mit den Patientendaten verglichen werden:

Erfolgskriterien
    a) Erfolgskriterien
  • Zunahme der alveolären Ventilation -> Abnahme des arteriellen pCO2
  • Zunahme der Oxygenierung (SaO2>90%)
  • Entlastung der Atempumpe (Abnahme der Atem- und Herzfrequenz)
  • Subjektive Besserung


Abbruchkriterien
  • Trotz O2 (FiO2>0,5) SaO2<85%
  • Anstieg des arteriellen pCO2 über Ausgangswert mit Abfall des pH
  • Schwere Kooperationsprobleme
  • Progrediente Bewusstseinsverschlechterung
  • Nicht beherrschbare Aerophagie (Luftverschlucken mit Magenaufblähen)
  • Nicht berrschbare Maskenprobleme (relativ: Helm als Alternative?!? mit Hautschäden
  • Schwere Aspiration
Intubationskriterien
    Hauptkriterien
  • Atemstillstand
  • Atempausen mit Bewusstseinsverlust oder Schnappatmung
  • Psychomotorische Agitation mit der Notwendigkeit zur Sedierung
  • Herzfrequenz < 50/min
  • Hämodynamische Instabillität mit RRsyst<70mmHg


  • Nebenkriterien
  • Atemfrequenz>35 bzw. höher als bei Aufnahme
  • pH<7,30 bzw. geringer als bei Aufnahme
  • arterieller pO245mmHg trotz O2-Gabe
  • Progrediente Bewusstseinseintrübung

Wobei die Intubation bei vorliegen eines Hauptkriteriums zu erfolgen hat oder wenn nach einer Stunde medikamentöser Therapie und NIV zwei Nebenkriterien vorliegen. Treten die Nebenkriterien nur beim Aussetzen von NIV auf, kann zunächst NIV weitergeführt werden.

Sollte es nach primär erfolgreicher NIV zu einem sogenannten Spätversagen kommen, dann sollte nun die Intubation vorgezogen werden.


Empfehlungen zur Respiratoreinstellung

Bei neuromuskulären und Thoraxwanderkrankungen wird die kontrollierte Beatmung empfohlen. Dabei gelten volumen- und druckkontrollierte Beatmungsformen als gleich effektiv.

Bei Patienten mit COPD ist ein kontrollierter Modus günstig, sofern er toleriert wird. Andernfalls sollte eine Pressure-Support-Ventilation (PSV bzw. ASB) bevorzugt werden.

Bei Lungenödem, Pneumonie und ARDS sollte primär assistiert ventiliert werden (PSV bzw. ASB).

Neben der Wahl der Beatmungsform spielt auch die weitere Einstellung eine Rolle. Auch hierzu gibt es Empfehlungen. Parameter sind inspiratorisches und expiratorisches Druckniveau (IPAP und EPAP), Atemfrequenz und der Flow oder Ersatzweise die Anstiegssteilheit. Was den inspiratorischen Druck angeht, so sollte man ausgehend von 10-12 mbar den Druck innerhalb der ersten 15-30 Minuten schrittweise steigern bis auf 20-30 mbar. Ab einem expiratorischen Druck von etwa 6 mbar wird die Ausatmung als schwer empfunden [2]. Für CPAP wird ein Druckniveau von etwa 8-12 mbar über PEEP empfohlen [6].

Besonders bei COPD bedarf es einer besonderen Einstellung. Hier ist auch - wie bei jeder Form der assistierten oder spontanen Atmung an der Maschine - darauf zu achten, dass es nicht - auch nicht zeitweise - zu Asynchronisation kommt. Auch ist zu bedenken dass der Druck, den man den Patienten vom Beatmungsgerät anbietet, sich nicht in die Alveole fortpflanzt. Es kommt besonders bei Obstruktionen zu Druckabfällen im bronchialen System. In der Initiierungsphase werden bei der exazerbierten COPD Drücke von etwa 25 cmH2O empfohlen, um ein Minutenvolumen von etwa 15-20 l/min zu erzeugen.

Ein weiterer wichtiger Faktor für das subjektive Dyspnoeempfinden ist der Flow oder die Anstiegssteilheit, der bzw. die entsprechend hoch einzustellen ist.

Probleme und Sedierung

Probleme stellen häufig Leckagen dar. Diese entstehen bei Masken z.B. durch Magen- oder Ernährungssonden, die unter den Maskenrand durchlaufen. Für diese Fälle bieten Maskenhersteller kleine Kunststoffstege an, die unter den Maskenrand gelegt werden und über die Sonde geführt werden können.

Gelegentlich könnte eine Sedierung notwendig werden, was von der Sache her sich nicht ganz unproblematisch darstellt, da wir auf eine eingeschränkt funktionierende Spontanatmung angewiesen sind. Zu diesem Zweck werden folgende Medikamente empfohlen:

  • Morphin 5-10mg s.c. oder i.v.
  • Propofol in niedriger Dosierung

Auf Benzodiazepine sollte wegen der muskelrelaxierenden Wirkkomponente verzichtet werden!





[1] Noninvasive Ventilation, Current Concepts, Hillberg RE et al., NEJM, 1997
[2] Nicht-invasive Beatmung, Konsensus-Statement, Burchardi H et al., Intensivmedizin und Notfallmedizin, 38:611-621, 2001
[3] Noninvasive Ventilation For Acute Exacerbations Of Chronic Obstructive Pulmonary Disease, Brochard L. et al., 333:817-822, 1995
[4] A Comparison Of Nonivasive Positive-Pressure Ventilation And Conventional Mechanical Ventilation In Patients With Acute Respiratory Failure, Massimo Antonelli et al., NEJM, 339:429-435 1998
[5] Noninvasive Pressure Support Ventilation Versus Conventional Oxygen Therapy In Acute Cardiogenic Pulmonary Oedema, Masip J et al., Lancet 356:2126-2132, 2000
[6] 15. Symposium Intensivmedizin + Intensivpflege 2005, Bremen, Nicht-invasive Beatmung - von der Theorie zur Praxis, Kuhlen R Welte T et al.


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